Streitpunkt Abschalteinrichtung

Wie die Autobauer die teils drastischen Grenzwertüberschreitungen mit einer Ausnahmeregelung rechtfertigen, die eine Abschalteinrichtung erlaubt.

Abgasmessung eines VW Golf 2.0 TDI in einem ADAC-Prüfstand.
Bild: obs/ADAC/UweRattay

Nach Aufdeckung des VW-Skandals wurde erstmals wirklich systematisch und unabhängig das Abgasverhalten von Dieselfahrzeugen untersucht. Die „Untersuchungskommission Volkswagen“ konnte vielen Herstellern eine teils massive Erhöhung der Stickoxid-Emissionen im realen Fahrbetrieb nachweisen. Doch die berufen sich auf eine Hintertür, welche die EU-Richtlinie offen lässt: Die Verwendung einer Abschalteinrichtung ist demnach zulässig, „um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“, heißt es in Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung Nr. 715/2007.

Da diese Einschränkung des Verbots nicht weiter präzisiert wurde, erfanden die Autobauer kurzerhand den Begriff „Thermofenster“. Der meint, dass sich ab einer bestimmten Lufttemperatur das Emissionsverhalten eines Fahrzeugs verschlechtert, um die Lebenserwartung des Motors zu erhöhen. Die Frage, wie weit solche Thermofenster geöffnet werden dürfen, beantworteten viele Hersteller auch gleich – und zwar auf ihre Weise: sperrangelweit!

Zum Opel Insignia stellt der „Untersuchungsbericht Volkswagen“ z.B. fest, dass die schadstoffminderne „Harnstoff-Eindosierung (AdBlue) […] unter 17 °C Außentemperatur zurückgefahren“ wird. Gegenüber den Testern erklärte Opel, dass die im Richtlinientext geforderte Funktionstüchtigkeit der Abgasreinigung „unter normalen Betriebsbedingungen“ nur bei Außentemperaturen zwischen 20 und 30 Grad Celsius gegeben sei. Das bedeutet, dass die Abgasreinigung zum Testzeitpunkt nur bei sommerlichen Temperaturen vollumfänglich funktionierte.

„Fahrzeuge mit Zykluserkennung emittieren teilweise weniger Emissionen als andere Fahrzeuge, die mit Bauteilschutzfunktionen appliziert sind“, fasste Prof. Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technik vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags die Situation zusammen.  Im Klartext: Verglichen mit dem Schadstoffausstoß manch anderer Hersteller sehen die manipulierten Fahrzeuge des VW-Konzerns aus wie brave Schulbuben.

22 „zweifelhafte“ Fahrzeuge

Beim Nachtest des Verkehrsministeriums wurden 56 Messungen an 53 Fahrzeugmodellen durchgeführt und bewertet. Bei 22 Fahrzeugen hatte die Untersuchungskommission Zweifel, dass deren hohen NOx-Werte im Einklang mit der EU-Richtlinie stünden. Nach Gesprächen habe man „mehrere Hersteller (…) im Interesse des Umweltschutzes ungeachtet der Zulässigkeit der verwendeten Motorschutzeinrichtungen dazu veranlasst (…), Verbesserungen für die laufende Produktion und teilweise auch für in Betrieb befindliche Fahrzeuge vorzunehmen“, heißt es im Bericht.

Am schnellsten reagierte Sportwagenbauer Porsche, der im September 2016 in Europa knapp 34.000 Exemplaren des beanstandeten Macan 3.0 l V6 (Euro 6) ein Softwareupdate gönnte. Im Februar 2017 erteilte das Verkehrsministerium für folgende Modelle eine Freigabe für die freiwillige Umrüstung von europaweit mehr als 500.000 Diesel-Fahrzeugen, davon 150.000 in Deutschland:

  • Mercedes-Benz: A-, B-, CLA- und GLA-Klasse (alle mit 1,5-Liter-Motoren der Schadstoffnorm Euro 6) sowie V-Klasse (2,1-Liter, Euro 6)
  • Opel: Insignia (Zweiliter, Euro 6)
  • VW Nutzfahrzeuge: Amarok und Crafter (Zweiliter, Euro 5)

Nicht auf der Liste enthalten sind bei Opel die ebenfalls beanstandeten Modelle Cascada und Zafira. „Die freiwillige Serviceaktion wird mit allen Varianten des Insignia 2.0l Diesel starten – weitere Informationen folgen, sobald die entsprechenden Rückmeldungen des KBA vorliegen“, sagte ein Opel-Sprecher dazu auf Nachfrage. Audi fehlt auf der Liste vollständig. Auch die Ingolstädter müssen zusätzlich zum Pflichtrückruf „freiwillig“ nachbessern und zwar beim Q5, A6 und A8. Ein Markensprecher wollte sich dazu im März 2017 nicht näher äußern.

Im dritten Teil der Dieselgate-Analyse: Auch ausländische Hersteller betroffen.

Der Titel des ersten Teils lautete: Vom VW-Abgasskandal zu „Dieselgate“

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