Wie weit geht die Produktbeobachtungspflicht?

Die so genannte "Honda-Entscheidung" von 1986 liefert wichtige Erkenntnisse zur Haftung eines Fahrzeugherstellers und seiner deutschen Vertriebsgesellschaft für sein Produkt. Sie kann sich sogar auf Zubehörteile von Fremdanbietern erstrecken.

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Bild: Pixabay / succo, CC0 Creative Commons

Eine Vertriebsgesellschaft, die einziger Repräsentant eines ausländischen Herstellers auf dem deutschen Markt ist, muss permanent ein Auge auf etwaige Sicherheitsgefahren haben, die von den angebotenen Produkten ausgehen könnten. Diese so genannte „Produktbeobachtungspflicht“ beschränkt sich nicht nur auf eigene Waren. Auch Gefahren, die aus der Kombinierung mit Artikeln anderer Hersteller entstehen können, müssen die Verantwortlichen nachgehen. Dies geht aus einer Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofes hervor, die bereits im Dezember 1986 ergangen ist (BGH-Az. VI ZR 65/86).

Im Streitfall klagten die Eltern eines Unfallopfers gegen den deutschen Importeur von Honda-Motorrädern. Ihr Sohn war im Sommer 1978 auf der A9 zwischen Nürnberg und München mit seiner Honda GL 1000 „Gold Wing“ tödlich verunglückt. Der Voreigentümer des gebraucht gekauften Motorrads hatte daran eine Lenkerverkleidung als Zubehör angebracht. Diese war laut Gutachter Ursache des Unfalls. Der Verunglückte stürzte, weil seine Maschine bei hoher Geschwindigkeit in einer Kurve instabil wurde.

Die Eltern forderten nun Schadensersatz. Ihre Argumentation: Bei Einhaltung der Produktbeobachtungspflicht durch die Beklagte und rechtzeitiger Warnung wäre der Unfall nicht passiert. Besonders an dem Fall ist, dass der ADAC etwa einen Monat vor dem Unfall Vertretern der Beklagten einen Film vorgeführt hatte, der Pendelerscheinungen der mit einer Verkleidung ausgerüsteten Honda GL 1000 zeigte.

Unverzüglich danach angestellte Versuche der Beklagten bestätigten dies. Allerdings handelte es sich nach Auffassung der deutschen Honda-Mitarbeiter um keine unbeherrschbaren oder gefährlichen Fahrzustände. Trotzdem wies der Importeur sowohl Vertragshändler als auch Halter der GL 1000 schriftlich auf Reklamationen über unstabiles Fahrverhalten hin, allerdings erst einen Tag vor dem Unfall. Für den Sohn der Kläger kam dieses Schreiben zu spät.

Zubehör-ABE kein Freifahrtschein

Die Richter rügten das Verhalten des beklagten Importeurs. An Inhalt und Umfang der Sicherungs- und Warnpflichten eines Motorradherstellers bzw. dessen Vertreters seien strengere Anforderungen zu stellen als bei anderen Firmen. Die Produktbeobachtungspflicht könne sich hier zu einer Pflicht zur eigenen Überprüfung fremder Zubehörteile steigern, heißt es im Urteil. Dies gelte besonders dann, wenn – wie im konkreten Fall – ein Gutachter feststellt, dass ein Motorradmodell konstruktionsbedingt bei hohen Geschwindigkeiten eine geringe, wenn auch noch ausreichende Dämpfung der Pendelschwingungen aufweist.

Hersteller und Importeur müssten nicht den kompletten Zubehörmarkt überprüfen. Wenn sich in Tests aber herausstelle, dass einige Produkte eine Gefahr darstellen können, müssten sie Kunden darauf hinweisen. „Zu einer allgemeinen Warnung wären sie verpflichtet gewesen, sobald sie Kenntnis davon hatten oder haben mussten, dass Lenkerverkleidungen für das Motorrad GL 1000 in größerem Umfang vertrieben wurden und dass diese generell die Fahrstabilität des Motorrades, jedenfalls bei höheren Geschwindigkeiten, beeinträchtigen konnten“, so das Gericht.

Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass die Lenkerverkleidung eine Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) erhalten hatte. Dies „begründet keine Vermutung für die ordnungsgemäße Beschaffenheit des Produkts, sondern besagt nur, dass der Kontrollbeamte nichts Vorschriftswidriges gefunden hat“, stellten die BGH-Richter klar.

TÜV-Warnung kam schon 1976

Bereits im Jahr 1976 hatte die Vereinigung der Technischen Überwachungs-Vereine allgemein auf den möglichen negativen Einfluss von Verkleidungen auf die Einfederung eines Motorrades hingewiesen. Die Beklagte argumentierte, dabei habe es sich um Allgemeinwissen eines jeden Motorradherstellers gehandelt, aus der keine Notwendigkeit zum Handeln hervorgegangen sei. Zudem habe sich das Merkblatt an die Hersteller der Verkleidungen gewendet. Beides ließen die Richter nicht gelten. Das Allgemeinwissen des Motorradherstellers sei nicht mit dem „allgemeinen Erfahrungswissen aller Kunden gleichzusetzen“.

Auch aus anderen Indizien habe der Kunde nicht zwingend die Gefahr erkennen können. Der Importeur argumentierte, aus der Tatsache, dass Honda selbst damals überhaupt kein derartiges Zubehör auf den Markt gebracht habe, wäre dies zu folgern gewesen. Auch der Zusatz in den Garantiebedingungen, die einen Verlust der Garantiepflichten für den Kunden festschrieben, sobald der die Maschine nachträglich mit fremdem Zubehör ausrüstet, sei „keine Freizeichnung von vertraglichen Gewährleistungsansprüchen“, so die Urteilsbegründung abschließend.

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