Dass Entschädigungszahlungen an Fahrzeughalter in den Vereinigten Staaten deutlich großzügiger sind, ist spätestens seit dem VW-Abgasskandal bekannt. Doch nicht nur bei spektakulären Streitfällen um Sachmängel ist die Position nordamerikanischer Kunden gegenüber dem Hersteller deutlich stärker als bei uns. Auch bei einfachen Rückrufen können US-Kunden Ansprüche stellen, die es bei uns nicht gibt. Manch Betroffener hat nämlich vor Beginn einer solchen Aktion bereits eine teure Reparaturrechnung beglichen – und zwar genau aufgrund des Mangels, der nun im Rahmen des Rückrufs gratis behoben wird.
In den USA sind die Autobauer verpflichtet, die Erstattung solcher Auslagen zumindest zu prüfen. Das regelt der Code of Federal Regulations, also eine von den US-Bundesbehörden erlassene Verordnung (49 CFR § 577.11). Sie besagt, dass der Hersteller der Rückrufbenachrichtigung ein Antragsformular beizufügen hat, mit dem der Kunde einen Ersatz bislang bezahlter Reparaturrechnungen verlangen kann. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass die Schäden im Zusammenhang mit dem Problem stehen, das den Rückruf ausgelöst hat.
Europäische Kunden sind bei solchen Forderungen noch immer auf Kulanz des Herstellers angewiesen. Eine Formulierung in einer neuen EU-Richtlinie lässt allerdings aufhorchen. Darin erklärt die EU-Kommission den Willen, dass Verbraucher „die Kosten für die Reparatur ihrer Fahrzeuge nicht tragen müssen, auch wenn vor dem Erlass der Abhilfemaßnahme Reparaturen zulasten des Zulassungsinhabers durchgeführt worden sind“.
Freiwillige Rückrufe nicht inkludiert
Mit „Erlass“ sind die künftig möglichen europaweiten Rückrufe gemeint. Sie sind wie bereits berichtet eine Reaktion auf den Abgasskandal und den höchst unterschiedlichen Umgang damit in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht gemäß Artikel 53, Absatz 8 der seit 1. September gültigen Richtlinie 2018/858 nur für diese Form der Zwangsrückrufe. Freiwillige Rückrufe der Hersteller, die im Tagesgeschäft die Regel sind, werden somit nicht von dieser verbraucherfreundlichen Bestimmung erfasst. Das machte Lucia Caudet, Sprecherin der Kommission, auf Anfrage deutlich.
Auch Rechtsanwalt Paul Schmitz von der Kölner Kanzlei Osborne Clarke dämpft diesbezügliche Verbraucherhoffnungen: „Eine Kostenerstattungspflicht in Fällen ohne behördliche Beteiligung dürfte aus der Regelung nicht abzuleiten sein“, erklärte er auf Anfrage. Ob und wie häufig die EU-Kommission bzw. die mit der Aufgabe betraute Gemeinsame Forschungsstelle (engl. Joint Research Centre – JRC) in Zukunft Rückrufe anordnen wird, ist noch völlig offen.
Zwar klang EU-Kommissar Thierry Breton einen Tag vor Inkrafttreten der neuen Regelung entschlossen, als er erklärte, die Forschungsstelle mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet zu haben. „Die JRC verfügt über zwei neue, dem neuesten Stand der Technik entsprechende Laboratorien, um Kontrollen durchzuführen“, sagte er am 31. August. Bisherige Erfahrungen lassen jedoch erahnen, dass ein Eingriff der Brüsseler Beamten wohl eher die Ausnahme bleiben wird. Zu häufig haben sich in der Vergangenheit die Regierungen der Einzelstaaten schützend vor heimische Industriezweige gestellt. Das gilt besonders für die derzeit arg gebeutelten Autobauer, bekanntlich eine Schlüsselsparte in Europa.
Schwieriger Nachweis
Laut Marion Jungbluth ist die Regelung aber nicht nur auf Durchführungsrechtsakte der Kommission beschränkt. „Diese Vorschrift gilt auch für Anordnungen des Kraftfahrt-Bundesamts oder anderer nationaler Überwachungsbehörden“, so die Mobilitätsexpertin beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Dass solche künftig häufiger kommen und damit auch mögliche Erstattungsansprüche, kann sich Paul Schmitz aber nicht vorstellen: „Ein grundsätzlich verändertes Verhalten nationaler Behörden dahingehend, dass zügiger oder häufiger Rückrufe angeordnet werden, können wir derzeit nicht erkennen.“
Aber selbst wenn das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als zuständige deutsche Behörde in Zukunft aktiver würde, läge der Teufel im Detail. Denn bislang waren Rückrufbescheide nicht jedermann zugänglich, wie der eine oder andere Verbraucher(schützer) im Abgasskandal schon schmerzhaft erfahren musste. „Bei den Bescheiden des KBA handelt es sich um Verwaltungsakte. Das Verwaltungsverfahren ist nicht öffentlich“, antwortete die Bundesregierung im Herbst 2019 auf eine Parlamentsanfrage lapidar (s. Bundestags-Drucksache 19/13184).
Ohne diese Bescheide ist die Ausgangslage für Kunden laut Marion Jungbluth jedoch schlecht, zumal sie auch noch beweisen müssten, dass die frühere Reparatur wirklich nur Teile betroffen hat, die Gegenstand der späteren Abhilfemaßnahme sind. Fazit: Auch mit der neuen EU-Richtlinie wird sich die Verhandlungsposition europäischer Autofahrer gegenüber den mächtigen Herstellern nur wenig verbessern. Es bleibt also nach wie vor nur der neidische Blick über den Großen Teich.
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